Warum Therapie super cool ist (Teil 1)

Es besteht immer noch das Klischee, dass es ein Zeichen von Schwäche ist, um Hilfe zu bitten. Ich jedoch denke, dass es hard core ist. Zum Einen ist der reine Akt, zuzugeben, dass man allein nicht weiter kommt sehr anstrengend und zweitens sagt es sehr viel über den eigenen Charakter aus, dass man weiß, wo die eigenen Grenzen liegen.

Und was bringt es, wenn man es weiter auf Biegen und Brechen allein versucht? Ja eben das. Biegen und Brechen.

Und genau das traf auch auf mich in den letzten Monaten zu. Ich hab mich jeden Tag verbogen, um in die vorgegeben Strukturen meines Alltags zu passen. Mich angestrengt, um etwas zu leisten und irgendwann kam auch der Punkt, wo der Bruch nur allzu deutlich spürbar war. Dabei hatte ich sogar gemerkt, dass ich alleine nicht weiterkommen würde, noch bevor es so dramatisch wurde. Doch ich muss etwas weiter ausholen.

Langatmiges nach Luft schnappen

Ich hatte schon immer mit meinen ganz persönlichen depressiven Episoden zu kämpfen. Als ich das erste Mal zur Therapie ging war ich glaube ich neun Jahre alt. In diesem neun Jahren hatte ich immerhin auch schon reichlich Gesprächsstoff angesammelt.

Die Therapie kam aber irgendwann zum Stillstand, wieso weiß ich nicht mehr so genau und wenn wir vorspulen, war ich kaum 4 Jahre später in der Psychosomatik und mit 16 bereits zum zweiten Mal. Zwischen den beiden Aufenthalten hatte ich mehrere Therapeut*innen, doch irgendwie hatte nichts davon Dauer.

Ich wusste also, dass ich früher oder später noch einen Versuch starten musste. Doch da ich bin, wer ich bin, Meisterin des Durchhaltens und der Verdrängung, habe ich es immer wieder vor mir hergeschoben. Im Frühling wird das schon wieder besser, die neue depressive Phase ist ja jetzt vorbei, wir ziehen ja bald um und Covid-19. Irgendeine Ausrede fand sich immer.

Und damit kommen wir zurück zu den letzten Monaten. Ich bin jetzt etwas länger als ein Jahr in Selbstisolation und ich glaube, das würde selbst den emotional stabilsten Menschen mürbe machen und da ich das nicht bin… ihr versteht schon.

Das Problem war auch nicht, dass ich nicht einsichtig war. Doch die Hemmschwelle war immer noch hoch. Es ist nicht leicht, einen Anruf zu machen und jemand Wildfremden zu erklären, dass man seine oder ihre Hilfe braucht, um nicht zu zerbrechen. Doch genau diese Aufgabe lag vor mir. Als ich mich schließlich überwinden konnte, war die Antwort, die ich bekam, dass es derzeit keine freien Plätze mehr gab. Das hatte ich erwartet und dafür konnte weder er noch ich etwas, doch dieser Rückschlag war alles andere als hilfreich. Das Loch, in dem ich steckte, wurde tiefer und die Hilfe, die ich brauchte, um wieder herauszukommen, war in weite Ferne gerückt. Als sich dann die Ereignisse überschlugen und mich jeden Tag schlimmere Neuigkeiten erreichten, versuchte ich es erneut. Dieses Mal direkt über meinen Hausarzt, damit ich bessere Chancen auf einen baldigen Therapieplatz bekäme. Doch so weit kam ich gar nicht. Denn bereits an der Anmeldung wurde mir lang und breit erklärt, dass das ja erstmal gaaar nicht möglich sei, denn ich müsste erst einen Termin mit einer anderen Ärztin in der Praxis machen und da würde sooo viele andere Patienten auf der Liste stehen und das würde noch laange dauern, bis ich dran wäre.

Ja danke für nichts. Ich fragte mich, was genau denn noch nötig war, damit jemand endlich merken würde, dass es ernst war und ich nicht mehr weiter machen konnte.

Aber nicht nur, dass ich wieder abgewiesen wurde, als ich mich überwunden hatte, um Hilfe zu bitten, noch dazu starrten mich alle Menschen in Hörweite plötzlich so an, als hätte ich um einen Exorzismus gebeten. Was zur Hölle…

Schließlich bin ich über Umwege und einen anderen Arzt endlich an eine Überweisung zur Therapie gekommen (noch mehr Menschen, denen ich mich anvertrauen musste, kein Ding) und schließlich habe ich dem Therapeuten nochmal sehr eindrücklich meine Situation beschrieben und einen Termin drei Wochen später ergattern können.

Ich war lange nicht mehr so glücklich gewesen, wie über diesen Termin. Selbst die Aussicht auf Hilfe war unglaublich erleichternd und beflügelnd. Ich wusste jetzt, dass es jemanden gab, der mir helfen konnte mir selbst zu helfen, jemand der mich nicht einfach an der Anmeldung stehen lassen würde, sondern wusste, wovon ich sprach und der mich und meine Probleme ernst nahm.

Die Frage, die mich dabei nicht los lässt: Wieso in aller Welt wird das als etwas Negatives aufgefasst? Wieso gibt es bei dem Wort „Psychotherapie“ immer erstmal befremdliche Blicke? Niemand würde sagen: „Oh, du brauchst einen Gips für dein gebrochenes Bein? Das ist aber unangenehm, behalt das lieber für dich. Wie schwach von dir, dass du das Bein nicht selbst heilen kannst.“

Es ist ja nicht so, als würde ich mich gerne so fühlen. Ich will kein Mitleid, das hilft mir nicht und glaubt mir, niemand hätte es so gern allein geschafft wie ich. Doch an irgendeinem Punkt kann man sich nichts mehr vormachen. Auch gut gemeinte Ratschläge, Yoga oder Gespräche mit Familien oder Freunden helfen bei einer Depression eben nur bedingt. Wie gesagt, gebrochenes Bein. Da hilft ein Kühlakku auch nur kurzzeitig.

Was ich brauche, ist ein Arzt. Jemand, der studiert hat, wie man meine Krankheit behandelt. Und in meinen Augen ist das weder peinlich noch schwach. Es ist die einzig vernünftige Entscheidung.


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